Autor: Andreas Frings
Zuletzt aktualisiert am: 25.09.2024
Was ist eigentlich die Gruppenfreistellungsverordnung?
Begriffserläuterung: Eine Gruppenfreistellungsverordnung definiert Voraussetzungen, unter denen typisierbare Vereinbarungen oder Verhaltensweisen zwischen Unternehmen von dem grundsätzlichen Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen und damit nicht verboten sind. Die neue EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsvereinbarungen (kurz: Vertikal-GVO) vom 10. Mai 2022 regelt für Franchise-Unternehmen relevante Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot von Wettbewerbsabsprachen.
Franchisesystem ein Kartell?
Im Wirtschaftsleben bezeichnet man als „Kartell“ Absprachen oder sonstige Verhaltensweisen zwischen Unternehmen zum Verhalten auf dem Markt. Am bekanntesten sind Kartelle, die Verkaufspreise oder Mengen abstimmen und so den zwischen den Parteien des Kartells bestehenden Wettbewerb einschränken.
Die Kartellanten teilen den Markt damit unter sich auf. Die Bildung eines Kartells ist grundsätzlich unerwünscht, weil es den Markt verzerrt und im Ergebnis die Preise treibt. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet deshalb ganz grundsätzlich solche Verhaltensweisen, die den Wettbewerb beschränken (Artikel 101 AEUV).
Auch beim Franchising vereinbaren Franchisenehmer und Franchisegeber, also zwei Unternehmer, wie der Markt zu bearbeiten ist, sodass auch die Regelungen des Franchisevertrages grundsätzlich wettbewerbsbeschränkend und damit ein „Kartell“ sein könnten.
Wann gilt die Vertikal-GVO?
Die Vertikal-GVO stellt bestimmte „vertikale“ Vertriebsvereinbarungen frei, also erlaubt diese, obwohl Wettbewerbsabsprachen grundsätzlich verboten sind. „Vertikal“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Parteien der Wettbewerbsvereinbarung nicht (ausschließlich) auf derselben Vertriebs-bzw. Produktionsstufe am Markt tätig sind.
Auch der Abschluss eines Franchisevertrages zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer findet „vertikal“ in diesem Sinne statt. Franchisegeber und Franchisenehmer sind eben auf unterschiedlichen Stufen am Markt, insbesondere dann, wenn der Franchisegeber dem Franchisenehmer Waren verkauft, die der Franchisenehmer weiterverkauft oder weiterverarbeitet.
Während die Wettbewerbsabsprachen zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer also zunächst eine (unzulässige) Wettbewerbsbeschränkung, ein Kartell sind, können sie unter die Vertikal-GVO fallen und damit doch zugelassen sein.
Oder umgekehrt: Wettbewerbsabsprachen zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer müssen von der Vertikal-GVO „gedeckt“ sein. Ein explizites Franchise-Recht oder Franchise-Gesetz gibt es inzwischen in vielen Ländern Europas, noch nicht jedoch in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Stand: August 2018). Die EU-Richtlinie ist daher bindend.
Historie der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung
Bis zur Schaffung von Gruppenfreistellungsverordnungen, die auf Franchise-Netzwerke anwendbar sind, „kollidierte“ die moderne Vertriebsform Franchising mit dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweise. Am 1. Juni 2000 trat die EG-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsvereinbarungen (VGVO) in Kraft. Sie lief am 31. Mai 2010 aus. Diese Verordnung regelte nicht nur den Alleinvertrieb, den Alleinbezug und den selektiven Vertrieb, sondern auch das Franchising.
Diese Gruppenfreistellungsverordnung war bereits weit gefasst. Vertikale Vereinbarungen wurden demnach nur noch bei schwachem Markenwettbewerb sowie erheblicher Marktmacht kontrolliert. Die Schwarze Liste erfasste dabei Wettbewerbsbeschränkungen, die nicht freigestellt wurden und zur Gesamtnichtigkeit einer Vereinbarung führten. Eine Graue Liste erfasste Wettbewerbsbeschränkungen, die Vereinbarungen nicht automatisch nichtig machten oder zum Entzug der Vorteile der Freistellungsverordnung führten.
Durch diese Verordnung wurde das alte zentrale Genehmigungssystem für Freistellungen durch ein "System der gesetzlichen Ausnahme" ersetzt. Am 1. Juni 2010 trat eine leicht abgeänderte Vertikal-GVO in Kraft. Die wesentliche Änderung gegenüber der Fassung aus dem Jahr 2000 waren die erweiterten und neu verfassten Guidelines, die die Anwendung der Freistellung erläutern.
Die neue Vertikal-GVO
Am 01. Juni 2022 ist wieder eine neue Vertikal-GVO in Kraft getreten, deren Geltungsdauer am 31. Mai 2034 endet. Diese Vertikal-GVO regelt ausdrücklich auch den Online-Vertrieb. Vereinbarungen, die den Online-Vertrieb, insbesondere die Online-Werbung, pauschal untersagen oder zumindest faktisch verhindern, sind nicht freigestellt.
Im Gegensatz zu früheren Fassungen ist eine automatische Verlängerung des Franchisevertrages trotzt des damit verbundenen Wettbewerbs zulässig. Außerdem wird der Dualen Vertrieb behandelt, also der Vertrieb von Herstellern oder Großhändler, die Produkte sowohl an Weiterverkäufer (Großhändler) als auch an Endkunden vertreiben.
Was kann ein Franchisegeber tun?
Der Franchisevertrag sollte keine Klauseln enthalten, die den Wettbewerb über das in der Vertikal-GVO erlaubte Maß hinaus beschränken. Das betrifft insbesondere:
- Regelungen zum Gebietsschutz, insbesondere wenn der passive Verkauf beschränkt wird;
- Die Dauer von Wettbewerbsverboten, die dem Franchisenehmer untersagen, in Konkurrenz zu dem Franchisesystem zu treten
- Preisabsprachen bzw. Preisvorgaben des Franchisegebers gegenüber dem Franchisenehmer, die regelmäßig verboten sind.
- Regelungen im Franchisevertrag, die dem Franchisenehmer Online-Vertrieb untersagen oder faktisch unmöglich machen.
Kartellrechtswidrige Verträge, also Absprachen, die nicht von der Vertikal-GVO „gedeckt“ sind, können im schlimmsten Falle insgesamt nichtig sein. Jedenfalls aber ist der Franchisenehmer an die entsprechenden Klauseln nicht gebunden, sodass sich die damit verbundenen Verbote nicht durchsetzen lassen.
Denkbar ist außerdem die Verfolgung und Sanktionierung von Verstößen gegen das Kartellrecht durch das Kartellamt.